Stadtraterei sucht Profi für Stadtschreiberei

„Rorschach“, geneigte Rorschacherinnen, geneigte Rorschacher, „ist eine aussergewöhnliche Kleinstadt mit interessanten Entwicklungsprojekten.“ So steht’s geschrieben – in der aktuellen Stellenausschreibung für eine Stadtschreiberin oder einen Stadtschreiber unserer Hafenstadt. Für diese „herausfordernde Aufgabe“ gesucht wird „eine innovative, selbständig denkende Persönlichkeit mit Führungserfahrung und sicherem Blick für Zusammenhänge und eine Vorwärtsstrategie.“ Erwartet wird von dieser Persönlichkeit nebst sehr guten Kenntnissen im Verwaltungsrecht sowie Stilsicherheit in Wort und Schrift „die Bereitschaft, zusammen mit einem Team von top motivierten Verwaltungsprofis Überdurchschnittliches zu leisten.“ Gäbe es Stellenausschreibungen für Bundesrätinnen und Bundesräte, wäre das Stellenprofil ungefähr identisch. In Rorschach hingegen wird zusätzlich ein „Universitäts- oder Fachhochschulabschluss oder eine langjährige Berufserfahrung in leitender Verwaltungstätigkeit“ verlangt – was für das herausfordernde Amt einer Bundesrätin oder eines Bundesrates nicht zwingend erforderlich ist.

Wer die hohen Voraussetzungen für eine Anstellung als Rorschacher Stadtschreiberin oder Stadtschreiber erfüllt, darf wohl erwarten, dass die Rorschacher Stadtratsmitglieder noch höhere erfüllen. Ob ihre Bewerbungsunterlagen beim gleichen Anforderungsprofil wie jenem für ihre Schreiberin oder ihren Schreiber in die engere Auswahl für ein Stadtratsamt kämen, steht zu bezweifeln. Denn in unserer aussergewöhnlichen Kleinstadt gilt als Sprungbrett in die Stadtraterei die Popularität des eigenen Gesichts aufgrund von Tätigkeiten in Vereinspräsidien. Wo diese Popularität fehlt, genügt es auch schon, dass die Parteien – als in Rorschach weitgehend entschlafene Vereine – niemand anderen für eine Kandidatur  finden. Und so erstaunt es kaum, dass unsere Stadtratsmitglieder nicht die professionellen Dienste einer Personalfachfrau oder eines Personalfachmanns für die Besetzung ihrer Schreiberstelle beanspruchen. Die Selektionierung liegt in corpere ihres Präsidenten und in dessen Glückshand. Uns aber, geneigte Leserin, geneigter Leser, bleibt die unberechtigte Hoffnung, dass uns das Schicksal eine Stadtschreiberpersönlichkeit beschere, die den Stadtratsmitgliedern nicht aus der Hand frisst, sondern sie fest im Griff der ihrigen führt.

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