Nachstehende Geschichte hat das Rorschacher Echo gerade rechtzeitig zu Weihnachten erreicht. Das Beitragsbild oben zeigt die englische Familie beim Gespräch in Rorschach.
„Wir suchen Spuren unseres Grossvaters Hugo Heer, der 1909 von Rorschach nach England ausgewandert ist» schrieb der Engländer Carl Heer von Bedworth, einem Vorort von Coventry in Englands Southeast Midlands, Ende November an das Staatsarchiv St. Gallen. Bereitwillig erteilte ihm Marcel Müller vom Staatsarchiv erste Auskünfte und den Hinweis, sich in Rorschach mit Otmar Elsener, dem dortigen Lokalhistoriker, in Verbindung zu setzen. Heer bat den Rorschacher um Hilfe. Daraufhin suchte Elsener aufgrund der Recherchen des Staatsarchivs nach einem Heer, der nach der Mitte des 19. Jahrhunderts aus Deutschland nach Rorschach eingewandert war, doch seine Suche war vergeblich.
Carl Heer
Es gab zwar einige Linien von Heers in Rorschach, aber niemand kannte Vorfahren aus Deutschland. Wo weiter suchen? Elsener blättert durch alte Rorschacher Steuerregister und Neujahrsblätter und siehe da, er wird fündig. Im Neujahrblatt 1921 stösst er auf ein Inserat: « Schuhwaren in grosser Auswahl, frisch assortiert zu möglichst billigen Preisen, ältere Formen zu alten Preisen empfiehlt höflichst S.K. Heer, Hauptstrasse 23, Rorschach.« Und kurz darauf lösen sich auch die Vornamen S.K. auf, als er im Steuerregister 1920 den Namen Sebastian Kilian Heer liest.
Der Urgrossvater Sebastian Kilian Heer mit Gattin
Erfreut meldet Elsener seine Recherchen an Carl Heer in England, der prompt erklärt, dass es sich um seinen Urgrossvater handeln muss. Heer kündigt gleichzeitig an, demnächst mit seiner Familie nach Rorschach zu reisen. Die beiden vereinbaren ein Treffen und am 4. Dezember trifft die neunköpfige Familie in Rorschach sein. Sie bringen alte Fotos mit, die mit dem Signet «Photographisches Atelier Labhart» gekennzeichnet sind. Daraus ist ersichtlich, dass der Sohn den Vater in Rorschach in späteren Jahren besucht hat und sie sich im Labor von Labhart fotografieren liessen. Paul Labhart hatte sein Labor 1892 gegründet, sein Sohn Paul führte es bis 1972.
Der Urgrossvater in jüngeren Jahren
Die Familie ist überglücklich Spuren ihres Urgrossvaters gefunden zu haben. Sie besichtigt das weihnächtlich geschmückte Rorschach und lässt sich die Stelle zeigen, wo ihr Urgrossvater sein Geschäft geführt hatte. Hauptstrasse 23 ist heute die Raiffeisenbank, die gebaut wurde, als die Häuser Nr. 23/25 abgerissen wurden. Der Urgrossvater ist 1925 verstorben, weitere Spuren werden zurzeit von einer Nichte von Carl Heer noch verfolgt. Sie ist Hobby-Genealogin und arbeitet an einer Familiengeschichte. Wer weiss, ob sie in der Schweiz noch weitere Vorfahren finden wird.
Die drei Söhne des Auswanderers
Was mag wohl den in Rorschach geborenen 19-jährigen Hugo Heer bewogen haben, kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs nach England auszureisen? Offensichtlich war er als Deutscher in England eingereist, obwohl er sich in der englischen Volkszählung 1911 als Swiss bezeichnet. Er lernte Zuckerbäcker und machte sich selbständig. Er muss erfolgreich gewesen sein, den Carl erinnert sich, wie ihm sein Vater erzählte, dass er mit seinen zwei Brüdern dem Grossvater jährlich den Keller weisseln musste und alle als Lohn einen Anzug erhielten. Ein ca. 100-jähriges Foto zeigt die drei elegant eingekleideten Söhne. Im ersten Weltkrieg wurde Hugo auf der Isle of Man interniert und in Küchen der als Lager umfunktionierten Hotels beschäftigt. Carl erinnert sich an eine Story, die ihm sein Vater über den Grossvater erzählte. Hugo never spoke German to them, saying «you are English – you will speak English.» Von wegen Zuckerbäcker: Von den Nachkommen des Ausgewanderten lernte nur Carl diesen Beruf und betrieb bis zu seiner Pensionierung ein erfolgreiches Bäckereiunternehmen.
Internierungs-Dokument
