Eine kleine künstliche Pfütze bewegt die Gemüter

Der Rorschacher Roman Elsener hat sich wieder einmal aus New York gemeldet. Die Hafenplatz-Vorlage scheint auch „ennet dem grossen Teich“ ein Thema zu sein und er hat deshalb nachstehende Kolumne verfasst. Voilà:

Schildbürgerstreich? – Rorschach plant eine künstliche kleine Pfütze direkt an einem der grössten Seen Europas
„Als ich das erste Mal davon hörte, dass sich die Nebelstadt Rorschach – mit ungefähr ebenso vielen Regentagen wie die englischen Grossstädte Manchester (weniger) oder Liverpool (mehr) –  ein künstliche Pfütze am See zulegen will, dachte ich, dies sei ein Schildbürgerstreich oder ein schlechter Witz.

Visualisierung: Abstimmungsvorlage der Stadt Rorschach

Da ich meine Papiere in den USA habe und deshalb als Auslandschweizer nur in nationalen Angelegenheiten abstimmen darf, kann ich dieses Wochenende leider nicht an die Urne gehen und ein vehementes Nein gegen das Projekt und für die Freihaltung des Platzes einlegen. Als einer, der hier aufgewachsen ist und dem Rorschach am Herzen liegt, möchte ich mich aber doch ausnahmsweise einmischen und fragen: Brauchen wir wirklich einen zusätzlichen Tümpel am einzigen Ort, der Rorschach etwas coole Urbanität verleiht?

Die Pfütze sieht, ehrlich gesagt, nicht einmal auf dem Computer-generierten Bild, das auf Plakaten und in den Stadtinfos verbreitet wird, gut aus – und wenn es schon auf dem Planbild nicht überzeugend wirkt, stellen Sie sich einmal die Rorschacher Realität vor:

– Mütter von Kleinkinder werden damit zu kämpfen haben, dass die kleinen Mädchen und Buben plötzlich nasse Strümpfe und Socken haben, obwohl es doch gerade Abend wird und auch empfindlich kühler.

– Hundehalter versuchen vergebens, Ihre Tiere vom Markieren der Grenzen des Pools abzuhalten.

– Die aufkommende Abend-Thermik jagt zudem Abfall über den Hafenplatz – leere Plastikhüllen von Snack-Verpackungen, Papierfetzen, PET-Flaschen und Bierdosen – sie alle bleiben in der Pfütze hängen. Die „Stillwasserflächen“, wie die Planer ihre kostspielige Idee nennen, ist  nicht einmal genug gross, darauf etwa ein ferngesteuertes Segelboot kursieren zu lassen.

Nicht genug: Auch wenn der Tümpel abends abgelassen wird, werden nächtliche Trunkenbolde und Vandalen die verbleibende Vertiefung als Abfalleimer und Latrine benutzen, vor allem wenn das Café und die dazugehörigen WCs geschlossen sind. Entweder müssen also die Ordnungshüter immer ein Auge auf die Pfütze werfen, oder unsere fleissigen Stadtgärtner werden jeden Morgen eine neue Aufgabe haben, die sie kaum erfreuen wird.

Freiplatz als Chance
Dass sich Rorschach nach dem Abriss des Güterschuppens nicht für ein neues Überbauungsprojekt entscheiden konnte, erweist sich in der heutigen Welt als vorausschauend. Was eine Stadt braucht, sind grosse Plätze an der freien Luft, an denen sie zusammenkommen und feiern kann, das hat uns auch die Pandemie gezeigt. Orte, an denen grössere Veranstalter interessiert sind, weil sie hier auf kleiner Fläche mit spektakulärer Abendstimmung ein grosses Publikum anlocken können.

Im aufwändig produzierten Booklet für die Abstimmung – dieses Geld hätte man besser für einen modernen Stadtführer eingesetzt – verwendet Rorschachs Regierung das Beispiel einer „Stillwasserfläche“ in Bregenz. Was dabei unterschlagen wird: Das Tümpelchen in Bregenz bietet etwas Abwechslung für die lange Schlange der Wartenden, die auf Einlass ins angrenzende Stadion der Bregenzer Festspiele warten, das Tausende fasst…

Mein letztes Argument, das eigentlich auch die Stadtplaner wie meinen alten Punkrock-Freund Ronnie Ambauen überzeugen sollten: Auf https://stadtinfo.rorschach.ch/ ist der Hafenplatz jetzt schon das einladende Hauptbild für Rorschach. Wenn man sich dieses tolle Bild der Stadt ansieht, hat man das Gefühl, dass eigentlich auch das – laut der Stadt – baufällige Provisorium weggelassen werden kann.

Schon jetzt urban und cool: Der heutige Hafenplatz als Startbild der Webseite von – ausgerechnet – https://stadtinfo.rorschach.ch

Ich weiss nicht, wieviel „Hafenstruktur“ im Untergeschoss des geplanten neuen Gebäudes vorgesehen ist, und bin auch für einen gut funktionierenden Rorschacher Hafen. Doch braucht es darüber einen – bis jetzt undefinierten – Gastrobetrieb? Nimmt der nicht nur den sich an der Hafenzeile etablierenden Geschäften Kundschaft weg? In der Abstimmungsbroschüre fehlen Bilder des vorgesehenen Bistros und der versprochenen „konsumzwangs-freien“ Terrasse.

Meiner Meinung nach haben unter anderen Kim Boppart und Michelle Müller mit dem Zelt-Werk in den vergangenen Jahren gezeigt, dass flexible und in diverser Weise einsetzbare Lösungen in unserer heutigen mobilen Gesellschaft auf viel mehr Anklang stossen als vorgeplante Mehrzweckräume. Auch Heiri Kägi mit dem Flohmarkt oder die Kornhausbar sind beste Beispiele dafür. Je länger der Platz frei bleibt, desto mehr Ideen wird er inspirieren.

Focus besser auf Kornhaus und Pavillon
Auffallend ist auch, dass eine Aufwertung des Seepavillons in der gesamten Diskussion um die Neugestaltung des Hafenplatzes in der Abstimmungsvorlage mit keinem Wort erwähnt wird. Das Kornhaus – seit Jahrhunderten das Wahrzeichen und früher Existenzgrundlage der Stadt – wird mit einem schiefen Bild als „nicht geeignet für ein gastronomisches Angebot“ abgetan – als wünschte man sich ein zusätzliches Restaurant im ehrwürdigen Gebäude.

Die Summe von rund 6 Millionen Franken, die die Rorschacher dieses Wochenende für ein Projekt bewilligen sollen, das überhaupt kein bisschen mehr leistet, als was die Bewohner dieser Region in den letzten Jahren sowieso aus eigenem Antrieb aufgegleist haben, sollte vielmehr eingesetzt werden, um sich zu überlegen, wie das Kornhaus und der Pavillon in die Ufererfahrung in Rorschach eingebunden werden können.

Eine Stimme gegen das Projekt, über dieses am Wochenende abgestimmt wird, ist keine Stimme gegen das Aufblühen von Rorschach. Im Gegenteil: Sie ist eine Chance, sich für Rorschach, sich Zeit zu lassen, sich in eine Richtung zu entwickeln, die Offenheit nicht nur predigt, sondern im Herzen der Stadt auch bietet.“

Der Rorschacher Journalist, Lehrer und Musiker Roman Elsener bläst seit Anfang 2022 in unregelmässigen Abständen in sein Horn fürs Rorschacher Echo. Roman ist in Rorschach aufgewachsen und teilt sich seine Zeit seit über 25 Jahren zwischen Rorschach und New York. Er ist Sänger der Band “The Roman Games”.

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