Wegen der Pandemie mussten die Rorschacher Feldschützen ihre 400 Jahr-Festivitäten um ein Jahr verschieben. Gestern Samstag wurde das nun mit einem feierlichen Festakt in der Kolumbanskirche, einem reichhaltigen Apéro vor dem Stadthof und weiteren Festivitäten im Schiessstand Witen in Goldach nachgeholt. In seiner Festrede blickte Prof. Emil Annen denn auch ein bisschen zurück in der Geschichte. Seine spannenden Ausführungen – hier wird der einleitende Teil wiedergegeben – werden durch Schnappschüsse vom gestrigen Anlass etwas aufgelockert.
«Wenn ich einen Blick auf diese Geschichte werfe, so möchte ich sie aus anderen Gesichtspunkten betrachten, als dies bisher geschehen ist. In einem Gespräch mit Emil Winter kürzlich am Verbandsschiessen vor dem Schützenhaus Witen über ein zum zweiten Mal abgesagtes Schiessen, meinte ich dazu: ‘Wer etwas will, findet Wege – Wer etwas nicht will, findet Gründe’. Im gleichen Gespräch hat mich Emil unverbindlich für diesen Beitrag angefragt. Emil’s Anfrage und dieser Leitsatz gingen mir in den darauffolgenden Tagen nicht mehr aus dem Kopf. Immer mehr erkannte ich, dass die Entwicklung des Schiesswesen generell, die Entwicklung der Feldschützen Rorschach über 400 Jahre immer mit «Wege finden» zu tun hat.
Die Gründung der Standschützen Rorschach
Doch jetzt ein paar Blicke in die Vergangenheit. Jene Zeiten waren kriegerische Zeiten. Die damaligen europäischen Entwicklungen verhiessen nichts Gutes. Als Bernhard Müller 1594 Fürstabt von St.Gallen wird, versucht er sofort, eine gute Beziehung zu den Rorschacher Schützen aufzubauen. Jährlich spendet er einen stattlichen Geldbetrag, die sogenannte Herrengabe. Bereits am 22. April 1610 erliess Abt Bernhard Müller den Befehl, zur Erstellung der Kriegsbereitschaft, was wohl eine Mobilisationsbereitschaft war. Dies lässt vermuten, dass schon vorher das Schiesswesen in Rorschach eine gewisse Bedeutung hatte und organisiert war. Das Jahr 1620 ist dasjenige, in dem die ersten Statuten erstellt wurden, welche auch für St.Fiden und Arbon galten. Die Bemühungen des Abtes sind begreiflich, wenn man die Entwicklungen in jener Zeit betrachtet.
In jenem Jahr dauerte der Religionskrieg, der später als 30-Jähriger Krieg bezeichnet wurde, bereits schon 2 Jahre. Er begann 1618. Berichte über schwere Kämpfe und Schlachten damals noch in Böhmen, verheerte Landstriche, über marodierende Soldateska werden auch die Abtei erreicht haben – und kaum ein Mensch ahnte damals, dass das noch 28 Jahre so weitergehen würde. Die Abtei hatte aber bereits schon ihre Jahrzehnte alten Erfahrungen.
So zum Beispiel mit den Freiheitsbestrebungen der Stadt St.Gallen. Abt Ulrich Rösch wollte sich wegen der wachsenden Spannungen mit der Stadt St. Gallen aus deren Umklammerung lösen. Mit der Zustimmung des Konvents, des Papstes und des Kaisers plante er deshalb das Kloster nach Mariaberg bei Rorschach zu verlegen. Die St. Galler Bürger sahen dadurch Rorschach als künftige gefährliche Rivalin aufsteigen und befürchteten gar den völligen Ruin ihrer Stadt. St. Gallen, die Appenzeller und Rheintaler, die sich auch in ihren Interessen bedroht sahen, verlangten deshalb ultimativ die Einstellung der Bauten in Rorschach, was der Abt verweigerte. Sie zogen am 28. Juli 1489 nach Rorschach und zerstörten die noch unvollendeten Gebäude. Dieses Ereignis, als Rorschacher Klosterbruch bekannt, führte zum St.Gallerkrieg. In diesem Krieg war die Abtei militärisch viel zu schwach und auf die Hilfe der verbündeten Eidgenossen angewiesen, welche vor die Stadt St.Gallen zogen.
Das stetige Gegeneinander, teilweise auch Miteinander, verstärkt durch die Reformation ab 1517 führten zu Jahrzehnten langen Kämpfen und Reibereien zwischen diesen St.Galler Nachbarn. In den Kappeler Religionskriegen 1529 und 1531, übrigens die ersten europäischen Religionskriege, stand auch wieder die Fürstabtei St. Gallen im Zentrum, welche faktisch zu einem Zürcher Protektorat gewordenen war. Diese Ereignisse müssen beim Amtsantritt von Bernhard Müller als Abt noch in lebhafter Erinnerung gewesen sein und führten die mangelnde Militärkraft schmerzlich vor Augen.
Die Statuten, welche Abt Müller erliess, erhalten unter dem Eindruck dieser Ereignisse eine ganz besondere Bedeutung. Es ging nicht nur um das Schützenwesen, es ging um die Erhaltung der Abtei und deren Stärkung. Die Unterstützung und Förderung der Schützen war ein Weg, um die Abtei zu schützen und erhalten. Die Schützen wurden so zum Rückgrat der äbtischen Militärmacht und erhielten dadurch eine viel grössere Bedeutung. Es war ein stetiges gegenseitiges Geben und Nehmen zu beiderseitigem Nutzen.
Dem Fürstabt zu Ehren macht die Feldschützen-Gesellschaft Rorschach 1907 Bernhard Müllers Hausbanner zum Wappen des Vereins. Nach Müllers Tod im Jahr 1630 wird Pius Reher Fürstabt von St.Gallen. Als Landesherr erlaubt er den Rorschachern den Bau einer Schützenlaube im Hengart.»
Nachstehend noch ein Auszug aus der Chronik des Vereins, welche im Festführer zu finden ist: