Für die Abschaffung der Bürgerversammlung

Romanshorn, geneigte Leserinnen, geneigte Leser, ist nicht Rorschach. Denn Romanshorn liegt zwar auch am Bodensee, aber nicht im Kanton St. Gallen – und Romanshorns Einwohnerschaft zählt 1‘500 Köpfe mehr als jene von Rorschach. Hat aber – wie Rorschach – kein Parlament. Und will – gemäss Beschluss der Gemeindeversammlung vom Montag – auch keines haben. Rorschach hatte eines, bis es seine Bürgerinnen und Bürger – im Alter von 95 Jahren – anno 2004 zu Grabe getragen haben.

Seit Rorschach kein Parlament mehr hat und die Stadtratsmitglieder – ausser dem Schulratspräsidenten – statt eigener Departemente nur Tätigkeitsschwerpunkte haben, läuft alles rund. Der Stadtrat beschliesst alles gemeinsam, niemand weiss, welches seiner Mitglieder allenfalls bei den Mehrheitsbeschlüssen unterlegen ist. Das fällt sozusagen unter das Amtsgeheimnis. Und ist jedenfalls dem Kollegialitätsprinzip unterworfen. Aber anders als beim Bundesrat weiss man beim Rorschacher Stadtrat nicht, wer was in das Gremium hineingetragen hat und wer mit was erfolgreich war oder gescheitert ist. Darum sollten sich Rorschacher Stadtratsmitglieder, die auf eigenen Wunsch zurücktreten, künftig nur noch gemeinsam und nicht mehr einzeln bestätigen lassen. Denn das Stimm- und Wahlvolk weiss ja nicht, was sie (die einzelnen Stadtratsmitglieder) tun. Und das ist gut so. Denn die Rorschacher Stadtratsmitglieder sind für alles gemeinsam verantwortlich, also jedes Mitglied für nichts. 

Der Rorschacher Stadtrat gibt sich – als Exekutive! – seine Aufträge selbst. An der Bürgerversammlung beantragt er ihre Genehmigung. Und die versammelten rund 5 Prozent der Bürgerinnen und Bürgerinnen tun ihre Bürgerpflicht. Mit etwa 95 Prozent ihrer Stimmen genehmigen sie – diskussionslos – die Anträge ihres Stadtrats. Der Blick über die Versammlung zeigt dabei ein Bild, das genauso aussieht wie jenes der demokratischen Delegiertenversammlungen in Russland, China und der einstigen DDR. Antrag, Hände hoch, angenommen. Antrag, Hände hoch, angenommen. Jetzt bläst die Stadtmusik oder die Stadtharmonie der Bürgerschaft noch einen letzten Marsch, dann schreitet sie zum kostenlosen Apéro mit Bier, Wein und Häppchen. Wie viele der Anwesenden insgeheim hoffen, dass sie die folkloristischen Abstimmungen bald einmal abschaffen dürfen, damit man ohne lästige Warterei direkt in den – verlängerten – Genuss des Gratis-Apéros kommt, fragt sich mit Ihnen, geneigte Rorschacherin, geneigter Rorschacher, oder für Sie

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1 Kommentar zu "Für die Abschaffung der Bürgerversammlung"

  1. Barbara Camenzind | 29. Mai 2018 - 17:30 um 17:30 |

    Lieber Federfuchser,
    es mag ja sein, dass du meine erneute Replik als nervenden Running Gag einer ehemaligen Stadtfigur von Riklins Gnaden empfinden: Glaub mir, genau so geht es mir mit dir. Nach der Lektüre deiner heutigen Kolumne habe ich das Buch „Stadt als Bühne“ hevorgenommen und eine Art doppeltes Déja-Vu erlebt. Sowohl thematisch wie figürlich. Der palindromantische pseudonyme Barrierendichter, der sich irgendwann in Allmachtsphantasien (keiner kriegt mich!) und Tiefschüssen wie einer Rorschacher Transformation der Goebbel’schen Sportpalastrede verstieg und sich dann vielleicht etwas wunderte, warum das bei der Enttarnung nur noch schal schmeckte – er ist dein Doppelgänger. A (dd) a her weht das Lüftchen. Okay, ich verstehe. Wir Stadtfiguren, die mit Namen und Gesicht für unser Tun einstanden, haben erlebt, dass Öffentlichkeit nicht nur läss ist. Ich zum Beispiel musste erleben, dass ich mir als Frau (im gebärfähigen Alter)weitaus weniger „erlauben“ durfte, als ein Mann. Für einen wirklich harmlosen Sketch mit dem Stapi an der Fasnacht fiel nachher „du SVP-Schlampe“. Vielleicht erinnerst du dich. Darum verstehe ich deine Maskerade, nur nützt sie nicht viel, wenn du Themen perpetuierst wie Cato, der im übrigen immer noch Karthago zerstören lassen will. Mann! Es gibt kein Stadtparlament mehr. Das wissen wir jetzt seit 14 Jahren! Je nu so denn! Lancier eine Initiative, treib Leute auf, die das machen wollen, das in einer Zeit, in der die Gemeinden schon froh sind, wenn sie valable Kandidaten für den Gemeinderat bekommen. Und ansonsten: Trink deinen kalten Kaffee, lass die alten Zeiten hochleben und bleib in der warmen Stube. Es läuft viel in der Hafenstadt. Schönes wie Schräges. Aber dazu müsste man zu den Leuten. Wenn es dir aber lieber ist, zuhause in einem Buch zu blättern um dich über Vorgestriges aufzuregen, empfehle ich dir Willis Chronik des Rorschacher Amtes. Ein paar Chaoten haben mal einen strategischen Neubau zugrunde gerichtet, dank dem wir Kantonshauptstadt hätten werden können. Ob Müllers Vorfahren dabei waren, weiss ich nicht. Aber du kannst dich ja trotzdem… weisch eh. In diesem Sinne wünsche ich dir weiterhin gute Spurensuche und herzliche Grüsse an den Doppelgänger, wenn du ihn triffst.
    Herzlich, deine Schatzsucherin Barbara

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