Einerseits und andererseits

Gleich zwei journalistische Ausnahmeleistungen, geneigte Zeitungsleserinnen, geneigte Zeitungsleser, servierte das St. Galler Monopoltagblatt in der Vorosterwoche. Auf der Titelseite vom 28. März prangte ein Brief (namens der Ostschweizerinnen und Ostschweizer), der den sehr geehrten Herrn Bundespräsidenten sowie die geschätzten Damen und Herren Bundesräte zu ihrem Besuch unseres Kantons begrüsste; formal und inhaltlich hätte diese Titelseite eher einer Schüler- als einer Qualitätszeitung zur Ehre gereicht. Auf der Titelseite vom 31. März hingegen hat Stefan Schmid in seinem Samstagskommentar (unter dem Titel „Der trügerische Charme tiefer Steuern“) für einen brillanten Ausgleichstreffer gesorgt; beim Vergleich von Gemeindesteuerfüssen, schreibt er, müsse man eine Vollrechnung mit sämtlichen Abgaben und Gebühren einbeziehen, die von Gemeinde zu Gemeinde sehr unterschiedlich sind. Zudem zu berücksichtigen seien die ebenfalls sehr unterschiedlichen staatlichen Leistungen wie Kultur- und Freizeitangebote, Kinderspielplätze, Mittagstische in den Schulen – und alles weitere, was zur Lebensqualität beiträgt.

Der Rorschacher Stadtrat setzt bekanntlich seit Jahren auf Neubauwohnungen, die steuerkräftige und damit steuerfusssenkende Neuzuzügerinnen und Neuzuzüger anlocken sollen. Diesbezüglich hilft er privaten Investoren. Bei eigenen Investitionen übt er gemäss eigener Aussagen jedoch Zurückhaltung – zwecks moderater Steuerfusssenkungen. Zum Schluss seines Samstagskommentars meint Stefan Schmid, dass sich der Charme tiefer Steuern nicht immer auszahle. Der Rorschacher Stadtrat ist anderer Meinung. Deren Richtigkeit lässt sich allerdings kaum beweisen. Dies zeigt der Blick auf die stagnierenden Erträge aus der hiesigen Einkommens- und Vermögenssteuer sowie auf die geringe Zunahme der Einwohnerzahl und den permanent hohen Leerwohnungsbestand in den vergangenen zehn Jahren.

Wo zwei sich streiten, können Dritte gut lachen – oder gut weinen. Ob es in Rorschach mehr lachende oder mehr weinende Augen gibt, kommt darauf an, wer sie zählt. Doch wie überall auf der Welt gilt auch in unserer Hafenstadt ein Satz von Peter Sloterdijk: „Politik ist der Schmerz, der entsteht, wenn andere Leute anderes wollen.“ Dass unser Stadtrat mit Ihrer Schmerzgrenze, werte Rorschacherin, werter Rorschacher, nicht unbegrenzte Scherze treibt, wünscht Ihnen

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