Rorschachs Untourismus

Knüppelhart, geneigte Leserinnen, geneigte Leser, war die Schlagzeile, mit der das St. Galler Tagblatt vom vergangenen Samstag zugeschlagen hat: „Rorschach ist das Sorgenkind.“ Damit gemeint ist eines der Kinder des elterlichen St. Galler-Bodensee Tourismus. 2017 haben in seinem Erziehungsraum die Logiernächte um 13,5 Prozent zugenommen, aber im Teilbereich Rorschach um 8,5 Prozent abgenommen. Eine Erklärung für diese Abnahme hat Tourismusdirektor Thomas Kirchhofer nicht.

Was Rorschach in touristischer Hinsicht dringend braucht, hat der Stadtrat in seinem letztjährigen Geschäftsbericht nachhaltig erwähnt: Die Ansiedlung eines Hotels im „Rahmen der Entwicklung des Seefelds vom Strandbad bis zum Schlachthof“. Entsprechend erfolgsversprechende Projekte hatte der Stadtrat in den vergangenen Jahren immer wieder in seiner Pipeline. Und aus keinem davon wurde bisher etwas, obwohl sie immer kurz vor dem Abschluss standen. Auch der diesjährige Geschäftsbericht, der in wenigen Tagen erscheint, wird das dringende Bedürfnis nach diesem Hotel wieder nachhaltig erwähnen.

Natürlich sind all jene Touristinnen und Touristen zu bedauern, die Rorschach wegen des fehlenden Hotels nicht besuchen können. Sie verpassen vieles: die romantische Altstadt, die lebhafte Ausgehzone, die verkehrstaugliche Hauptstrasse, die leeren Schaufenster verwaister Ladenlokale, das stille Treiben auf dem Marktplatz, die idyllischen Baustellen, die sehenswürdigen Bahnschranken, das historisch dahindämmernde Kornhaus, den kabisbefreiten Autoparkplatz am See, das gastronomisch vielfältige Kebab- und Pizzaangebot, den naturgeschützten Stadtwald, den urbanen Langmoospark und so weiter.

Seien wir aber froh, geneigte Einheimische beiderlei Geschlechts, dass wir bisher von Tourismusströmen wie beispielsweise in Barcelona und London verschont geblieben sind. Denn so können wir ungestört geniessen, was uns das tolle Engagement privater Initiantinnen und Initianten bietet – ob Schlittschuhlaufen in der Eisarena, Konzerte im Jazzkeller, Veranstaltungen im Treppenhaus, Aufführungen des Sinnfluttheaters und dergleichen viel, viel mehr. Einen kleinen Vorgeschmack darauf, wie Touristeninvasionen die Hafenstadt belasten würden, bietet uns das Sandskulpturenfestival, das diesen Sommer zum 20. Mal stattfindet. So hofft (hoffentlich) mit Ihnen, geneigte Leserin, geneigter Leser, dass nie so viele Touristinnen und Touristen nach Rorschach kommen, bis wir genug von ihnen haben,

Ihr Federfuchser  

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1 Kommentar zu "Rorschachs Untourismus"

  1. Ich habe nachstehenden Kommentar zu dieser Kolumne erhalten, den ich gerne hier veröffentliche:

    Lieber Federfuchser,
    ja du hast vollkommen recht. Wir leben in einer Baustellenstadt im Dornröschenschlaf. Der dauerte nach den Gebrüdern Grimm hundert Jahre, sprich eine Ewigkeit. Touristisch nicht sonderlich attraktiv, trotz See und den dortigen mehr oder weniger ausgenutzten Attraktionen. Knüppelhart der Artikel im Tagblatt, schreibst du. Mich hat der Knüppel nicht getroffen, sondern eher belustigt. Ja, wo soll den hier übernachtet werden auf den paar Quadratkilometern? Das Hotel Mozart ist momentan das erste Haus am Platze, weil auch das Einzige. Etwa so ewig lang, wie der Schlaf des besagten Prinzesschens, gibt es schon das Rorschach-Bashing. „Eine Frontstadt nach Bombenangriff und missglücktem Wiederaufbau“ war so ungefähr das „Netteste“, was ich von so genannten Heimwehrorschachern beim Besuch der Hafenstadt gehört habe. Das hat gesessen. Okay, unsere Altstadt ist winzig, der Verkehr mühsam und gerade innovativ wie Brasilia finde ich die Neubauten auch nicht. Aber hey, was schwebt dir vor? Eine tiefschlafsanierte Innenstadt wie in Görlitz oder Gotha? Ganz schön tot, sage ich dir. Und mein Mann räumt wegen solcher Ansichten sicher nicht sein Eisenlager weg, so von wegen Verschönerung. Die Rorschacher Gwerblerinnen und Gwerbler, die wie das Fähnlein der sieben Aufrechten darum kämpfen, Leben in ihre Bude und in die City zu bringen, tun das nicht nur wegen des Umsatzes, sondern weil sie den Flecken hier lebenswert finden. Die Stadt braucht Zeit, sich zu verändern. Nicht zu viel Zeit, sonst ist der Zug abgefahren. Geduld wäre wohl das bessere Wort. Und Verstand und Respekt. Dann wird es hoffentlich vorbei sein mit dem Dauer – Konjunktiv, den wir RorschacherzählerInnnen bei den Stadtführungen anwenden müssen. Möglichkeiten können nur genutzt werden, wenn wir zusammenstehen. Was nützt es, die Faust im Sack zu machen und dann bei der Bürgerversammlung zu schweigen, pardon, gar nicht erst hinzugehen? Eine gute Idee nicht zu unterstützen, weil Typ oder Typin xy in der falschen Partei ist oder uns der Neid zerfrisst, ob der guten Idee die man nicht selber hatte? Oder amend jemand mehr Aufmerksamkeit bekäme, käme er durch mit seinem Projekt? (Uff so viele Konjunktive…) Wir können den Touristen keine Ramblas bieten und nur einen etwas biederen Lido. Aber wir könnten – und können – etwas bieten was Reisende sehr lieben: Authentizität. Eine Kleinstadt am Bodensee mit allen Ecken und Kanten. Mit vielen witzigen Privatinitiativen und ein paar richtig guten Feten im Sommer, die ich jetzt nicht extra aufzuzählen brauche. Wir könnten stolz darauf sein, eine ehemalige Industriestadt zu sein – anstelle über die Brachen zu lästern. Wir können stolz darauf sein, eine multikulturelle Stadt zu sein und könnten helfen, dies noch sichtbarer zu machen. Andererseits: Wir könnten als Hausbesitzer unser Hirn einschalten, wenn schon wieder einer einen Kebabladen aufmachen will, anstelle nur auf die Miete zu schielen. Und wir können die unterstützen, die hier ihre Geschäfte haben, denn von den Touristen allein werden die nicht existieren können. Ich schreibe leben. Nicht Geld machen. Und wir könnten viele sein, die bei den Stadtoberen anklopfen, etwas zu tun. Und diese bei der Arbeit unterstützen. Wir haben sie gewählt. Und ja: Etwas mehr Willkommenskultur am Hafen wäre wirklich langsam schick und angebracht. Alles andere liesse sich auch durch guten Willen und gegenseitige Unterstützung ändern. Jenseits von der allseits beunkten Ego-Haltung. Das ist jetzt auch ein grosser Wink mit allen Pfählen hinauf in den Rorschacherberg. Hallo, ist da wer? Rorschach ist mehr als eine Stadt im Konjunktiv. Oder wäre? Sie ist das Herz der Region, lassen wir es schlagen. Sowas gefällt Reisenden ganz bestimmt.

    Ganz herzliche Grüsse,
    Barbara Camenzind Zwissler
    Lindenplatz

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